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Montag, 30. April 2012

Ein Land- Welten entfernt (Teil 2)


Wirklichkeiten unterschiedlich wie Tag und Nacht

Was ist also eigentlich Kolumbien? Beziehungsweise kann man überhaupt ein Land als „eines“ beschreiben, in dem für einige Antipersonenminen und Bomben für andere hingegen luxuriöse Einkaufszentren zum Alltag gehören?
Nach dem Gini-Index ist Kolumbien das Land mit der größten Schere zwischen arm und reich Lateinamerikas. Zur Oberschicht gehören ~3% der Bevölkerung, ~38% können zur Mittelschicht gezählt werden während ~58% die Unterschicht ausmachen- von denen wiederum 45, 5% in Armut leben.
Ein „3. Welt“ Land in dem man die Armut nicht sehen muss, wenn man nicht will. In dem ein kleiner Teil sehr gut lebt während der andere für Hungerlöhne schuftet. Ein Land in dem sich die Mittelschicht ohne groß zu überlegen eine „empleada“ (Haushälterin) leisten kann.

Ein Land- in das ich mich verliebt habe- trotz und wegen all seiner Gegensätze, Kontraste und Ungerechtigkeiten!

Vor kurzem habe ich in der Wochenzeitung La Semana (ähnlich dem Spiegel) einen Bericht über das Catatumbo gelesen- eine Region nördlich meiner alten Stadt Cúcuta und mit verantwortlich für die Forderung der Deutschen Botschaft uns Freiwillige in andere Landesteile zu schicken.

„Viajar al Catatumbo es viajar a otra Colombia“ (Ins Catatumbo zu reisen bedeutet in ein anderes Kolumbien zu reisen“) schreibt der Autor.
Hier ist der innere Konflikt Kolumbiens- der Krieg- Realität. Seit kurzem ist wieder das Feuer zwischen Regierungstruppen und Guerilla entfacht. Die FARC hat in einigen Städten die Lokalführung aufgefordert nachts Häuser in einem Umkreis von 100 m von Militärstützpunkten und Polizeiposten zu evakuieren. Explosionen gehören zum Alltag. In einer Kleinstadt unterrichten 6 Lehrer 400 Kinder in Schichten. Die geforderte Unterstützung durch neue Lehrkräfte kam- und ging schnell wieder. Manchmal werden Straßen mit Bussen blockiert mit der Beschriftung „Bomba“. Bis eine Einheit zur eventuellen Entschärfung eintrifft vergehen Tage.
Jahrzehnte der Vernachlässigung und des Vergessens durch die Regierung ließen nur einen Wirtschaftszweig, Kokain, und eine alleinige Autorität, die Guerilla, zurück.

Einige Fakten zum Catatumbo:
Von 1997 bis 2009 wurden 430 Menschen Opfer von Antipersonenminen, ~72 000 mussten fliehen und 203 Menschen starben bei Massakern.



Bevölkerung des Catatumbo:
Ein Mann erzählt von einer Begegnung am letzten Wochenende:
„Ich kam aus Ocana mit dem Motorrad, als mich ein Junge bat ihn mitzunehmen. Der war vielleicht 11 oder 12 Jahre alt. „Wohin willst du?“, fragte ich ihn. „Ich werde ein Kalb kaufen.“, antwortete er. „Ich habe 1.200.000 Pesos. Überrascht fragte ich ihn woher denn ein Junge seines Alters soviel Geld hätte. Er meinte darauf nur: „Tengo mata (Ich habe die Pflanze.). Du etwa nicht?“
Dies zeigt sehr bildlich wie unterschiedlich Lebensrealitäten sein können.

Kolumbien das sind seine Regionen. Von den Armen des Amazonas (42% des nationalen Gebiets sind von Regenwald bedeckt), über den Großstadtdschungel von Medellín, Bogotá oder Cali bis zur Karibikküste. Aber eben auch Regionen wie Chocó, das Catatumbo, Putamayo...irgendwie vergessen im Prozess der Modernisierung- zurückgelassen in Armut und Kriminalität, geplagt von Guerilla und/oder Paramilitärs.
Aber trotz alledem ist Kolumbien alles andere als nur Drogen, Armut und Gewalt. Im Moment fühle ich mich wie die Zuschauerin in einem großen Theater. Der Vorhang aus Korruption, Drogenhandel und Krieg hat sich gelichtet und vor mir spielt sich auf der Bühne das wahre kolumbianische Leben ab. Zuschauer werden zu Schauspielern verzaubert von der Lebensweise und Mentalität des Ensembles.
Kolumbianer, die abends in der Straße feiern und uns zum Tanzen auffordern.
Kolumbianer, die interessiert fragen, warum wir so begeistert vor ihren Früchteständen stehen bleiben.
Kolumbianer, die uns spontan in ihrem VW-Käfer mitnehmen und uns eine Tasse Kaffe servieren.

Selbstverständlich sind die Plagen des Landes, wie in Teil 1 bereits beschrieben, Normalität und präsent. Das Land sähe wohl ohne Korruption bereits sehr anders aus. Aber die Menschen sind bereits einen Schritt weiter- wollen vorankommen, den Konflikt und die Geschichte hinter sich lassen.

Wie uns die Zeit des Nationalsozialismus als Nation für immer geprägt hat, so haben hier mehr als 40 Jahre Krieg, drei Jahrzehnte Geiselnahmen und die Drogenmafia ihre Spuren hinterlassen.
Kolumbien wäre sonst wohl nicht das Kolumbien, wie wir Freiwilligen es kennen lernen.

Genauso wie wir schlucken müssen, wenn man uns „Nazi“ schimpft, macht die meisten Kolumbianer der Ruf des Landes traurig. Man wünscht sich Frieden, ein neues Image, Fortschritt und dann vielleicht irgendwann- mit neuen politischen Köpfen- auch ein Land ohne extreme Armut.

Aber wie bekämpft man das Geschwür des Drogenhandels, dass nichts als Geldgier kennt und jegliche politische Interessen der Guerilla seit langem beiseite gedrängt hat? Auf diese Frage wissen die Wenigsten eine Antwort.

Der kolumbianische Konflikt mag weit weg scheinen und ist doch Folge dessen was in den „Industriestaaten“ passiert. -Die Nachfrage bestimmt das Angebot!- So muss wohl auch eine Lösung global und nicht nur national gefunden werden.
Zumindest die Anstrengung eine Lösung zu finden, ist man Kolumbien und gesamt Lateinamerika schuldig. 
Haus einer Schülerin in El Zulia
Einkaufszentrum in Medellín

Armenviertel in EL Zulia

Straße in Bogotá
in der Großstadt Bogotá: ein Pferdewagen auf der Straße
im Luxuseinkaufszentrum: ein Stand zum Regenschirm eintüten
Bauer in Ubaté

Medellín: Hochhäuser der Oberschicht- links: ein Armenviertel

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