Wirklichkeiten unterschiedlich wie Tag und Nacht
Was ist also eigentlich Kolumbien?
Beziehungsweise kann man überhaupt ein Land als „eines“
beschreiben, in dem für einige Antipersonenminen und Bomben für
andere hingegen luxuriöse Einkaufszentren zum Alltag gehören?
Nach dem Gini-Index ist Kolumbien das
Land mit der größten Schere zwischen arm und reich Lateinamerikas.
Zur Oberschicht gehören ~3% der Bevölkerung, ~38% können zur
Mittelschicht gezählt werden während ~58% die Unterschicht
ausmachen- von denen wiederum 45, 5% in Armut leben.
Ein „3. Welt“ Land in dem man die
Armut nicht sehen muss, wenn man nicht will. In dem ein kleiner Teil
sehr gut lebt während der andere für Hungerlöhne schuftet. Ein
Land in dem sich die Mittelschicht ohne groß zu überlegen eine
„empleada“ (Haushälterin) leisten kann.
Ein Land- in das ich mich verliebt
habe- trotz und wegen all seiner Gegensätze, Kontraste und
Ungerechtigkeiten!
Vor kurzem habe ich in der
Wochenzeitung La Semana (ähnlich dem Spiegel) einen Bericht über
das Catatumbo gelesen- eine Region nördlich meiner alten Stadt
Cúcuta und mit verantwortlich für die Forderung der Deutschen
Botschaft uns Freiwillige in andere Landesteile zu schicken.
„Viajar al Catatumbo es viajar a otra
Colombia“ (Ins Catatumbo zu reisen bedeutet in ein anderes
Kolumbien zu reisen“) schreibt der Autor.
Hier ist der innere Konflikt
Kolumbiens- der Krieg- Realität. Seit kurzem ist wieder das Feuer
zwischen Regierungstruppen und Guerilla entfacht. Die FARC hat in
einigen Städten die Lokalführung aufgefordert nachts Häuser in
einem Umkreis von 100 m von Militärstützpunkten und Polizeiposten
zu evakuieren. Explosionen gehören zum Alltag. In einer Kleinstadt
unterrichten 6 Lehrer 400 Kinder in Schichten. Die geforderte
Unterstützung durch neue Lehrkräfte kam- und ging schnell wieder.
Manchmal werden Straßen mit Bussen blockiert mit der Beschriftung
„Bomba“. Bis eine Einheit zur eventuellen Entschärfung eintrifft
vergehen Tage.
Jahrzehnte der Vernachlässigung und
des Vergessens durch die Regierung ließen nur einen
Wirtschaftszweig, Kokain, und eine alleinige Autorität, die
Guerilla, zurück.
Einige Fakten zum Catatumbo:
Von 1997 bis 2009 wurden 430 Menschen
Opfer von Antipersonenminen, ~72 000 mussten fliehen und 203 Menschen
starben bei Massakern.
Bevölkerung des Catatumbo:
Ein Mann erzählt von einer Begegnung
am letzten Wochenende:
„Ich kam aus Ocana mit dem Motorrad,
als mich ein Junge bat ihn mitzunehmen. Der war vielleicht 11 oder 12
Jahre alt. „Wohin willst du?“, fragte ich ihn. „Ich werde ein
Kalb kaufen.“, antwortete er. „Ich habe 1.200.000 Pesos.
Überrascht fragte ich ihn woher denn ein Junge seines Alters soviel
Geld hätte. Er meinte darauf nur: „Tengo mata (Ich habe die
Pflanze.). Du etwa nicht?“
Dies zeigt sehr bildlich wie
unterschiedlich Lebensrealitäten sein können.
Kolumbien das sind seine Regionen. Von
den Armen des Amazonas (42% des nationalen Gebiets sind von Regenwald
bedeckt), über den Großstadtdschungel von Medellín, Bogotá oder
Cali bis zur Karibikküste. Aber eben auch Regionen wie Chocó, das
Catatumbo, Putamayo...irgendwie vergessen im Prozess der
Modernisierung- zurückgelassen in Armut und Kriminalität, geplagt
von Guerilla und/oder Paramilitärs.
Aber trotz alledem ist Kolumbien alles
andere als nur Drogen, Armut und Gewalt. Im Moment fühle ich mich
wie die Zuschauerin in einem großen Theater. Der Vorhang aus
Korruption, Drogenhandel und Krieg hat sich gelichtet und vor mir
spielt sich auf der Bühne das wahre kolumbianische Leben ab.
Zuschauer werden zu Schauspielern verzaubert von der Lebensweise und
Mentalität des Ensembles.
Kolumbianer,
die abends in der Straße feiern und uns zum Tanzen auffordern.
Kolumbianer,
die interessiert fragen, warum wir so begeistert vor ihren
Früchteständen stehen bleiben.
Kolumbianer,
die uns spontan in ihrem VW-Käfer mitnehmen und uns eine Tasse Kaffe
servieren.
Selbstverständlich sind die Plagen des
Landes, wie in Teil 1 bereits beschrieben, Normalität und präsent.
Das Land sähe wohl ohne Korruption bereits sehr anders aus. Aber die
Menschen sind bereits einen Schritt weiter- wollen vorankommen, den
Konflikt und die Geschichte hinter sich lassen.
Wie uns die Zeit des
Nationalsozialismus als Nation für immer geprägt hat, so haben hier
mehr als 40 Jahre Krieg, drei Jahrzehnte Geiselnahmen und die
Drogenmafia ihre Spuren hinterlassen.
Kolumbien wäre sonst wohl nicht das
Kolumbien, wie wir Freiwilligen es kennen lernen.
Genauso wie wir schlucken müssen, wenn
man uns „Nazi“ schimpft, macht die meisten Kolumbianer der Ruf
des Landes traurig. Man wünscht sich Frieden, ein neues Image,
Fortschritt und dann vielleicht irgendwann- mit neuen politischen
Köpfen- auch ein Land ohne extreme Armut.
Aber wie bekämpft man das Geschwür
des Drogenhandels, dass nichts als Geldgier kennt und jegliche
politische Interessen der Guerilla seit langem beiseite gedrängt
hat? Auf diese Frage wissen die Wenigsten eine Antwort.
Der kolumbianische Konflikt mag weit
weg scheinen und ist doch Folge dessen was in den „Industriestaaten“
passiert. -Die Nachfrage bestimmt das Angebot!- So muss wohl auch
eine Lösung global und nicht nur national gefunden werden.
Zumindest die Anstrengung eine Lösung
zu finden, ist man Kolumbien und gesamt Lateinamerika schuldig.
Haus einer Schülerin in El Zulia |
Einkaufszentrum in Medellín |
Armenviertel in EL Zulia |
Straße in Bogotá |
in der Großstadt Bogotá: ein Pferdewagen auf der Straße |
im Luxuseinkaufszentrum: ein Stand zum Regenschirm eintüten |
Bauer in Ubaté |
Medellín: Hochhäuser der Oberschicht- links: ein Armenviertel |