Seiten

Montag, 7. November 2011

Spanischlehrerin? Das ist ein Witz, oder?


30 Augenpaare die mich erwartungsvoll angucken. Ich suche noch verzweifelt nach einem Lehrer, der sich ja in irgendeiner Ecke versteckt haben könnte. Aber nein, meine Befürchtung wird Gewissheit...aus „du stellst dich vor und begleitest eine Lehrkraft“ ist „du ersetzt eine fehlende Lehrkraft“ geworden. Nun bin ich noch in der Lage spontan eine Englischstunde zu gestalten, aber bei 3 Stunden ohne Material bin auch ich mit meinem Latein am Ende.
Als ich auf meinem Stundenplan sehe, dass ich nicht nur für Englisch, sondern auch für Ethik in der 6. und Lengua castellana (Spanisch) in der 7. und 8. Klasse eingeteilt bin, muss ich erstmal lachen- Galgenhumor.
In den folgenden Wochen sehen meine Tage wiefolgt aus:
4 Uhr        Aufstehen
6-12 Uhr   Unterricht
13:30 Uhr  mit dem Bus zum Asilo Andresen
16:30 Uhr  Feierabend und Unterricht vorbereiten

Von Stunde zu Stunde schwanke ich zwischen Verzweiflung und Begeisterung. Wenn ich es schaffe die Aufmerksamkeit der Kinder zu gewinnen, wenn sie anfangen nachzudenken und interessiert sind, hat sich die Arbeit gelohnt. In Ethik spreche ich über Freiheit und die Frage „Warum bin ich ich?“. In Spanisch diskutieren wir über Moral und Werte. Wenn ich nicht genau wüsste, was ich studieren möchte, könnte ich in solchen Stunden fast damit liebäugeln Lehrerin zu werden. Aber dann gibt es wiederum Tage, in denen ich die Kinder einfach nicht zur Ruhe bringen kann.
Wenn ich anderen erzähle in welchem Colegio ich arbeite, kommt meistens ein verständliches: „Ah colegio Inem...schwierig“. In Kolumbien besuchen fast alle Kinder, deren Eltern es sich leisten können, eine Privatschule. Die Öffentlichen sind meist soziale Brennpunkte ohne die nötigen Ressourcen (mit wenigen Ausnahmen). Das Niveau der Schüler, einer Gesamtschule entsprechend, schwankt extrem. INEM besuchen Kinder sämtlicher sozialer Schichten. Manche arbeiten nachmittags als „vendedores ambulantes“ (Straßenverkäufer). Kein Wunder also, wenn einige so erschöpft sind, dass sie keine Lust haben zu lernen.
Aus meiner 6. Klassen sind 15 Kinder „retirados“.
Ich frage verblüfft nach, was das heißt.
„Na, die kommen nicht mehr!“
„Warum?“
„Haben keine Lust zu lernen.“
„Aber es gibt doch eine Schulpflicht?“
„Die bleiben einfach Zuhause und den Eltern ist es egal.Der eine arbeitet jetzt als Fischverkäufer.“
Schulpflicht ist also das eine. Schulpflicht auch durchzusetzten das andere. Als ich in meiner 6. Klasse von Deutschland erzähle, frage ich jeden Einzelnen:
„Wer ist die wichtigste Person in deinem Leben?“.
Fast immer bekomme ich dieselbe Antwort.
„Meine Mutter. Mein Vater. Meine Mutter...“
„Meine Tochter!“
Habe ich mich verhört?
Ich frage erneut nach.
Das Mädchen streicht über ihren Bauch.
Zumindest finde ich später heraus, dass sie nicht wie ihre Klassenkameraden 13 oder 14 Jahre alt ist, sondern 16. Doch die fehlenden fünf Jahre bis zum Bachillerato (Abitur) wird sie wohl kaum beenden.
Ich beende mit gemischten Gefühlen diese 3 Wochen als Vollzeitlehrkraft.





Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen